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Gustav Frenssen: Peter Moors Fahrt nach Südwest

Gustav Frenssen: Peter Moors Fahrt nach Südwest
 
 
Vaterländische Geschichte in usum delphini.[1]
(Arno Schmidt)
 
Arno Schmidt hat ja im Falle Frenssen so furchtbar recht: einer der ganz Großen seiner Zunft war er sicherlich nicht, auch wenn es bei ihm präzise Schilderungen des Elends gibt, mitunter einen treffenden Charakter, große Bilder (etwa wenn Jörn Uhl sein von der Mäuseplage scheinbar verschontes Weizenfeld beruhigt betrachtet und dann mit kaltem Entsetzen bemerkt, wie ein Halm nach dem anderen still zu Boden sinkt, der mit Mäusen schwarz bedeckt ist). Zwei Bücher nimmt Schmidt aus der allgemeinen Verurteilung aus: die „Briefe aus Amerika“ (in der Tat eine bemerkenswerte und in vielem heute noch gültige Analyse US-amerikanischen Lebens) und den „Otto Babendiek“.
Aber den „Peter Moor“[2] kann er unmöglich gelesen haben, seine Bemerkung ist ein geradezu groteskes Fehlurteil:
Nach Mitternacht traten wir den Rückzug an.
Zuerst, wenn ein Pferd fiel, nahm der Reiter den Sattel auf den Rücken und ging in schweren Schritten durch den Sand; bald aber lag da, bald da ein Sattel. Wir andern stiegen ab und führten die Pferde; es war ein langer, müder Zug. Dicht vor meinen Füßen taumelte ein Kamerad und fiel lang hin. Wir hoben ihn mit vier Mann auf; er war schwer wie Blei. Immer mehr Pferde fielen; bald lag alle Kilometer ein edles Tier. Dann und wann krachte ein Schuß; wir achteten nicht darauf. Die älteren Kadaver waren hochaufgetrieben; eine schreckliche Luft dunstete über dem weiten Totenfelde. Wir setzten stumm Fuß vor Fuß. Der Mund war heiß; die stickige, stinkende Luft ging wie mit Peitsche und Sporen den Hals hinunter. Einer vor mir fing an, wild zu reden, er wolle alle Feinde erschlagen und sich an ihrem Blute satt trinken. Sie setzten ihn auf ein Pferd; zwei Mann hielten ihn. Ich spürte keinen Hunger. Aber der Durst quälte mich, daß ich begehrte, das Blut zu trinken, das ich in den Adern der gefallenen Tiere sah.
Vaterländische Geschichte sieht anders aus. Es gibt keine schonungslosere Darstellung der Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika: Blut, Schweiß, Grausamkeiten auf beiden Seiten, Durst, Typhus, Massensterben in glühender Luft, mit Blut und Urin verseuchtes Wasser. Von Heroismus, Patriotismus, Fahnenwehen und Marschgesang keine Spur. Dieses Buch macht niemandem Lust zum Kriegsdienst. Dazu die Verachtung der Heimat:
Von uns aber spräche kein Mensch, ja man spotte über uns und unsern Jammer als über Leute, die für eine lächerliche und verlorene Sache stritten
Und auch Respekt vor dem Feind: den Engländern und – bei aller Zeitgebundenheit – auch vor den Afrikanern:
„Da liegt ein Volk mit all seinen Kindern und all seinem Hab und Gut, von allen Seiten von wildem, schrecklichen Blei gedrängt und zum Tode verurteilt;“ und es ging mir kalt über den Rücken.
Die Ursachen des Aufstandes werden scharf beleuchtet:
„… Sie waren Viehzüchter und Besitzer, und wir waren dabei, sie zu landlosen Arbeitern zu machen; da empörten sie sich. Sie taten dasselbe, was Norddeutschland 1813 tat. Dies ist ihr Befreiungskampf.“ „Aber die Grausamkeit?“ sagte ein anderer. Aber der erste sagte gleichmütig: „… sind wir nicht grausam gegen sie?“
„Sie machen keine Gefangenen. Wir tun’s ja auch nicht.“
Das sind für 1906 erstaunliche Erkenntnisse und Einsichten, für eine Zeit der Kolonialbegeisterung und des übersteigerten Nationalbewußtseins in einem Volk, das spät zur staatlichen Einheit und zu Macht und Ansehen gelangt war.
Als die Nachricht kam, daß der Gegner „an kümmerlichen Wasserstellen säße“,
beschloß der General, ihm dorthin zu folgen, ihn anzugreifen und zu zwingen, nordostwärts in den Durst und in den Tod zu gehen, damit die Kolonie für alle Zeit vor ihm Ruhe und Frieden hätte.
Auch dies eine entlarvende Aussage angesichts oft vorgebrachter beschönigender geschichtlicher Darstellungen.
Wenn Felix Schürmann (Universität Hannover), offensichtlich von seinem Professor beauftragt, Frenssen irgendwie zu entlarven (in heroischem Kampf gegen einen Straßennamen), glaubt feststellen zu müssen, der Autor habe sich zu einer „selbst für die Kolonialliteratur außergewöhnlich rassistischen Sprache“ herabgelassen und dies mit den Aussagen „eines seiner Protagonisten“[3] (es ist aber gar kein Protagonist – jedes literarische Werk hat immer nur einen -, sondern eine Nebenfigur) zu belegen versucht, so ist seine Argumentation schlicht unredlich. Er bedient sich nämlich des simplen Taschenspielertricks, Figurenaussagen, die in der Tat schwer erträglich ist, aber sich in die Vorgabe fügen,  als Autorposition darzustellen. Gegenläufige Zitate, deren sich eine Vielzahl hätte anführen lassen, werden unterschlagen. Wollen wir zudem davon absehen, daß dem Studenten „die Kolonialliteratur“ wohl kaum so vertraut sein dürfte, daß er einen fundierten Vergleich wagen kann. Der wirkliche Protagonist kommentiert die Ausfälle des – aus der Sicht heutiger Allwissenheit – „rassistischen“ Oberleutnants mit den Worten:
Dann haben wir also unseren Bruder getötet.
Daß Frenssen vor hundert Jahren anders dachte und sprach als heutige Gutmenschen, dürfte einen halbwegs historisch Denkenden nicht verwundern. Gerade das aber macht das Buch zu einem wertvollen Zeitdokument, mit Einsichten und Ansichten, mit denen Frenssen so manchem seiner Zeitgenossen weit voraus war. Hinzu kommen eindrucksvolle Schilderungen von Land und Leuten, von Klima und Tierwelt, betrachtet mit den Augen eines norddeutschen Simplex. Dieses Kriegsbuch kann sehr wohl als Antikriegsbuch gelesen werden. Der Krieg ist hier, mit Antoine de Saint-Exúpery zu sprechen, kein Abenteuer, sondern eine Krankheit, wie der Typhus. – Das Buch gehört in den Tornister der deutschen Afghanistan-Soldaten.

 

[1] Schmidt, Arno: Ein unerledigter Fall. In: Das essayistische Werk zur deutschen Literatur in vier Bänden. Zürich: Haffmann 1988. Bd 4, S. 301
[2] Frenssen, Gustav: Peter Moors Fahrt nach Südwest. Berlin: G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung 1906
[3] Schürmann, Felix: Frenssenufer. In: Spuren des Kolonialismus in Hannover. Universität Hannover, Historisches Seminar. http:/www.koloniale-spuren.de

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