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Buch-Notizen

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Platens Tagebücher: Permanente Selbstquälerei wegen seiner Homosexualität., die ihm den Blick auf die Wirklichkeit verstellt.
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Wiederbegegnung mit Kipling nach ca. 60 Jahren. Solide Handarbeit, die auch heute noch standhält. Er hat Glück, daß er Engländer ist, in der BRD stünde er längst in der Rassistenecke.
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Wer Horror liebt, liebt Lovecraft. Wer Lovecraft liebt hat sich auf jeden Fall die beiden erfreulich dicken Bände des Nikol-Verlages kommen lassen, in denen auch Erstveröffentlichungen (Jugendwerke) enthalten sind, die durchaus schaudern lassen (auch wenn manches doch besser in der Schublade geblieben wäre). Aber der Schauder ist ein doppelter, denn zu den zerstückelten Leichen des Autors gesellen sich die des Lektors Matthias Ortlieb, der die Druckfahnen unmöglich in der Hand gehabt haben kann. Man hat in der Tschechei drucken lassen (darf ja nicht viel kosten), und die dortige Druckerei hat Worttrennungen offensichtlich mit einem Lineal vollzogen, das man am Seitenrand plazierte. Bitte: Teufel-sanbetung, Feuersbr-unst, ger-afft, Ei-näscherung. fotografie-rt, vermi-schte, Kupfere-lektroden, verurs-acht, Zel-lwand, Mo-orrand, Öll-ampe, schli-ef, versch-wand (mehrfach), Er-dinneres, gep-fiffen, Er-bunterlagen, we-stindisch, dahing-leitenden, Neuen-gland, sch-mal, Fremda-rtigkeit usw. usf. Man kann sich das natürlich zusammenreimen, aber bevor man ein Wort wie „halba-kustisch“ begreift, bedarf es doch eines Lesepäuschens. Hinzu kommen die Narreteien der sogenannten Reformrechtschreibung, daneben aber schreibt man auch normal: Dachgeschoß, leerstehend. Erquickend auch der Deppenapostroph: des Diabolismus‘, des Chaos‘, des Fokus', des Symbolismus', des Sarkasmus'. Dergleichen Fehler gehen natürlich nicht auf Kosten der Druckerei, sondern des Verlages, auch etwa der Herbs-tag, die 1830-iger, weißmachen (statt weismachen) oder (in der Verlagsanzeige) des Autoren (statt Autors). Und dann gibt es auch  noch den "Hauptprotagonisten" (das wäre der Haupthauptheld)
Die Zeichensetzung erfolgt recht freizügig, insbesondere stört das permanent fehlende Komma vor dem erweiterten Infinitiv mit "zu": "...dass die arme Frau schrie Dinge in der Luft zu sehen"
Gruselig, das alles. Aber lesen kann man es trotzdem; es ist nur so wie in einem Klassikkonzert, wenn alle zwei Minuten ein Bonbonpapier raschelt.

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Tolstois Fragment "Der Morgen eines Gutsbesitzers". Die banale und immer gleiche Geschichte von einem Gutmenschen (durchaus sympathisch und anrührend), der auf die Wirklichkeit trifft und seine Illusionen verliert.
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Was die Lektüre von Hesses "Steppenwolf" so unerquicklich macht, ist neben dem Kitsch die fehlende Charakterisierungskunst. Harry Haller behauptet ständig, ein ganz außergewöhnlicher Mensch zu sein und ist doch nur ein verknurrter Kleinbürger. Und er verstehe so viel von Musik und Kunst und Literatur und wisse so viel Kluges darüber zu sagen - er macht aber nicht eine einzige kluge Bemerkung zu diesem Thema.
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Wie hilflos die Konstruktion des vielgerühmten "Steppenwolf" von Hermann Hesse - mit den gefundenen und heimlich zugesteckten Aufzeichnungen.
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Wieder einmal, nach mehreren Jahrzehnten, Hermann Hesses "Demian". Wenn er erzählt, ist er gut, wenn er "dichtet", wird das ganze zu einer gruseligen Edelkitschorgie.
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Heinrich Manns "Im Schlaraffenland" wieder gelesen, sicherlich eines seiner besten Bücher - mit dem unsympathischsten Helden, den man sich denken kann. Aber in einer ebenso unerquicklichen Gesellschaft.
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"Arturo Ui" im Staatstheater Cottbus, überzeugende schauspielerische Leistungen, aber das Stück geht heute völlig ins Leere. Wenn der Regisseur Malte Kreutzfeldt die Aktualität mit Namen wie Frauke Petry (wer war das doch gleich?) oder Victor Orban nachzuweisen versucht, wird seine Konzeption absurd und peinlich (und wenn dazu noch ausgerechnet der BRD-Schnitzler Heribert Prantl zur anti"populistischen" Suada eingebunden wird). Vor allem aber wird der Gorilla auf der Hollywoodschaukel ängstlich verschwiegen. Wer vor Bedrohungen in der heutigen Welt warnen will, ohne das Wort "Islam" überhaupt nur zu erwähnen, der kommt aus seiner Antifablase eben nicht heraus. - Hinzu kommt, daß einer der Schwerpunkte des Stückes, die angebliche Reichstagsbrandstiftung durch die Nazis, heute als längst widerlegt gelten kann.
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Alfred Kubin, der berühmte düstere Zeichner, präsentiert in seinem Erinnerungsbüchlein "Vom Schreibtisch eines Zeichners" (Berlin 1939) ein Beispiel für seine recht eigenwillige Art von Humor. In der Skizze "Mimi" legt er, um seinen Freund zu erschrecken, dem die Leiche des gerade gestorbenen Töchterleins seiner Wirtsleute in den Arm. Der erschrickt tatsächlich, läßt den kleinen Körper fallen, der dann vom Dackel apportiert und unter das Sofa gezerrt wird. Erst nach langer lustiger Jagd kann die völlig verschmutzte Kinderleiche zurück in den Sarg gelegt werden. Die eben zurückgekehrte Mutter beschließt, angesichts der teuflischen Besudelung eine Extramesse lesen zu lassen.
Nun ja, mit dem Tode hatte es der Zeichner, stellte ihn immer wieder dar und sammelte Todesbilder.
Aber so richtig lachen kann man wohl über diese Geschichte nicht.
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Und noch ein vergessenes Buch von noch einem vergessenen Autor: Jakob Schaffners Roman "Larissa". So ein tiefes Eindringen in die Kinderseele findet man nur noch bei Kolbenheyer, ebenfalls vergessen.
Schaffner liebte Deutschland und stellte sich auf seine Seite (er war Schweizer), deshalb wird er heute in der BRD zur Unperson. Die gemütvollen Schweizer verweigerten ihm die Beisetzung in heimatlicher Erde. Pack.
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Auch ein längst vergessenes Buch von einem - zumindest in Deutschland - vergessenen Autor: Jacob Paludans Roman "Vögel ums Feuer", der eigentlich nur mit Hamsun zu vergleichen ist. Andere Bücher des Autors sind aber noch auf dem Buchmarkt und seien hiermit empfohlen.
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Gustav Frenssens längst vergessenes Buch "Lütte Witt" gelesen, die Geschichte einer bitterarmen Familie vor dem Hintergrund der französischen Ruhr-Besetzung. Frenssen kennt aber mehr als Schwarz und Weiß. Er schildert die Brutalität und Arroganz der frenzösischen Besatzung (vor allem auch durch Marokkaner), zeigt aber auch unter ihnen Menschlichkeit und Verständnis; und ebenso verschweigt er nicht die Brutalität der Deutschen. Arno Schmidt hat dieses Buch - wie auch "Peter Moors Fahrt nadch Südwest - mit Sicherheit nicht gelesen, sonst hätte er nicht ein so flapsig-doofes Urteil über Frenssen gefällt.
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Juli Zehs Roman "Unterleuten" ist gewiß eine lohnende und nie langweilende Lektüre, ein ungeschminktes Bild der Zeit und alles andere als eine Dorfidylle. - Dennoch stellt sich ein starkes Unbehagen ein: Sollten die Beziehungen unter Dorfbewohnern tatsächlich nur auf gegenseitig vorteilhaften Hilfeleistungen beruhen, sollten Gewalt, Betrug, Erpressung die einzig geltenden Normen sein? Bestimmt Geld wirklich alles? Oder gibt es nicht doch auch ein menschliches Miteinander, Uneigennützigkeit und Zusammengehörigkeit?
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Friedrich Georg Jüngers "Missouri"-Gedichte
von schockierend pubertärem Niveau, peinlich. Platte Verse, vorgetäuschter Tiefsinn.

Garschin
Wenn man alt ist, überlegt man sich, welches Buch sich noch (einmal) zu lesen lohnt und ob man die über 1000 Seiten "Krieg und Frieden" noch einmal auf sich nimmt.
Mit Wsewolod Garschins "Erzählungen" hat man auf jeden Fall eine richtige Wahl getroffen. Der Autor, jung durch Selbstmord geendet, kennt Krieg und Verwundung aus eigener Erfahrung und entdeckt auch die grausame Ausbeutung der Proletarier, etwa der Nietenpresser, die, im Kessel sitzend, mit ihrer Brust sich dem Niethammer entgegenstemmen.
Garschin hat wenig geschrieben - die Erzählungen zählen zur Weltliteratur.


„Die Fahne hoch …“


Die Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur von Anselm Salzer und Eduard von Tunk ist eine solides Informationswerk, das das Leben und Schaffen der deutschsprachigen Dichter sachlich referiert und unvoreingenommen wertet. Lediglich der immer wiederkehrende Tadel an Autoren, die sich irgendwelcher Lüsternheit schuldig gemacht haben, wirkt ein wenig peinlich. – Das gilt für die Bände 1 bis 5, den abschließenden 6. Band haben Claus Heinrich und Jutta Münster-Holzlar „aktualisiert“ (etwa 1985). Ihr antifaschistischer Eifer hebt sie über störende Fakten leicht hinweg und verführt sie zu ästhetischen Urteilen, die allein politisch zu verstehen sind. Die Literatur des NS-Reiches ist da allenfalls „mittelmäßig“, „hinterwäldlerisch“, „kaum genießbar“, „monströs“, „obszön“ usw. usf. Die längst widerlegte Legende, Heines Lorelei-Gedicht sei unter „Volksmund“ weiter gedruckt worden, wird hier wieder aufgewärmt.
Dem Faß die Krone ins Gesicht schlägt aber die Passage über Hans Grimms Roman Volk ohne Raum, der „miserabel geschrieben“ ist (S. 19) und vor allem deshalb zu verwerfen, weil ein Nationalsozialist „den anspielungsreichen Namen Martin Wessel trägt“. Die Anspielung zielt natürlich auf Horst Wessel. Der aber wurde erst 1930 ermordet, also vier Jahre nach Erscheinen des Romans, als selbstverständlich noch niemand seinen Namen kannte. Die beiden Literaturkämpfer kennen ihn auch heute nicht, sie nennen ihn (S. 20) Hans.
Daß sie – S. 53 – das KZ Buchenwald „von Soldaten der Roten Armee“ befreien lassen paßt in ihre Arbeitsweise, in der Ideologie Sachkenntnis ersetzt.
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Holzfäller fällen einen Baum. Es schwitzt
Die Beiden sehr. Der eine sagt: "'s ist schwül."
Der andre auf der Wurzel niedersitzt
Und sagt: "Komm her. Im Schatten ist es kühl."
Paul Ernst: Gedichte und Sprüche. München 1935. S. 27.
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Solschenizyns Roman Krebsstation ist wie Tschechows Erzählung Krankensaal Nr. 6 ein Bild des gesamten Rußland.
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E-Mail an den Eulenspiegel-Verlag zu Herbert Köfers Buch
"Ick hab überall zu tun":
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß es sich bei dem Text "Geschichtsstunde" (S. 154) des genannten Buches um ein eindeutiges Plagiat handelt - er stammt in der Urform aus dem vor über hundert Jahren erschienenen "Lustigen Salzer-Buch" von Marcell Salzer, das mir aus Kindheitslektüre gut in Erinnerung ist (hoffe ich jedenfalls). Urheberrechtlich hat das ja sicherlich keine Konsequenzen, und man muß den alten Herrn Köfer damit nicht belästigen, aber ich hielte in einer zweiten Auflage einen entsprechenden Hinweis für redlich.
Mit freundlichem Gruß
(Freundliche und zustimmende Antwortdes Verlages)
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Fritz Reuter: Ut mine Stromtid läßt sich durchaus mit Dickens messen und steht mir höher als Fontanes Romane (die ich aber auch schätze). Die hochdeutsche Übertragung von Friedrich und Barbara Minssen bewahrt noch ein wenig das Platt und den Geruch Mecklenburgs.
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Ein Buch, das ich 50 Jahre zu spät lese: Victor A. Kravchenko: Ich wählte die Freiheit. Das private und politische Leben eines Sowjetbeamten. (Hamburg: Drei Türme 1947). Allerdings war es in der DDR natürlich nicht präsent und zählte zur ganz bösen Literatur. Der Autor folgt fanatisch und gutgläubig wie Nikolai Ostrowski der kommunistischen Ideologie - bis zu den großen "Säuberungen", in die auch er einbezogen wird.
Ein grauenhaftes Bild einer grauenhaften Wirklichkeit.
Losung aus einem sowjetischen KZ: "Wiedergeburt durch Arbeit". Das klingt auch nicht anders als: "Arbeit macht frei."
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Da das Gedicht heute wegen seines rassistischen, diskriminierenden, menschenverachtenden, rechtspopulistischen, gerade angschtsunsrervergangnht nicht zu tolerierenden Titels nicht mehr in Lesebüchern und Anthologien erscheint, hier eines der großartigsten und hilfreichsten Gedichte deutscher Sprache:

Nikolaus Lenau

Die drei Zigeuner

Drei Zigeuner fand ich einmal
Liegen an einer Weide,
Als mein Fuhrwerk mit müder Qual
Schlich durch sandige Heide.

Hielt der eine für sich allein
In den Händen die Fiedel,
Spielte, umglüht vom Abendschein,
Sich ein feuriges Liedel.

Hielt der zweite die Pfeif im Mund,
Blickte nach seinem Rauche,
Froh, als ob er vom Erdenrund
Nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der dritte behaglich schlief,
Und sein Zimbal am Baum hing,
Über die Saiten der Windhauch lief,
Über sein Herz ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die drei
Löcher und bunte Flicken,
Aber sie boten trotzig frei
Spott den Erdengeschicken.

Dreifach haben sie mir gezeigt,
Wenn das Leben uns nachtet,
Wie mans verraucht, verschläft, vergeigt
Und es dreimal verachtet.

Nach den Zigeunern lang noch schaun
Mußt ich im Weiterfahren,
Nach den Gesichtern dunkelbraun,
Den schwarzlockigen Haaren.
(1837/38)

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Ein großes Leseerlebnis: Thorkild Hansens Knut Hamsun. Seine Zeit - sein Prozeß. Das Buch stand seit 20 Jahren ungelesen im Bücherschrank, abschreckend durch seinen Umfang. Und nun die großartige Biographie eines Genies. Sein Prozeß: Ein Zoologe im Verhör durch Affen.
Es ist aber nicht nur das Porträt des einzigartigen Dichters, sondern auch die Geschichte eines sterbenden alten Mannes, seines Verfalls. Eines Mannes, der das Alter immer verhöhnt hat.
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Die Bücher E. G. Kolbenheyers werden bei buchhandel.de nicht als Bücher, sondern  als "Sonstige Produkte" geführt und viele von ihnen als "nicht lieferbar", obwohl sie das durchaus sind. Man könnte das auch als eine subtile Form der Zensur bezeichnen.
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Wer immer noch ein operettenhaftes Bild der österrreichisch-ungarischen Armee vor Augen und im Kopfe hat, der lese Miroslav Krlezas (über das z gehört ein Häkchen, das kriege ich hier nicht hin) Erzählungen Der kroatische Gott Mars. Grauenvoll, brutal, unmenschlich. Man versteht dann auch die heutigen Vorgänge auf dem Balkan besser.
Übrigens habe ich ebendort mal gefragt, wie man denn den Autornamen ausspricht, und der Befragte äußerte erstaunt: "Na, so wie er geschrieben wird." Alles klar.
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Lesen im Alter ist immer auch Abschiednehmen: Dieses Buch wirst du nicht noch einmal lesen. Eben nehme ich Abschied von Eduard Mörike, vom Maler Nolten recht leichten Herzens, von einigen seiner Gedichte kann ich mich nicht trennen. Leider fehlen in der BdK-Auswahl zwei der für mich wichtigsten: An meinen Vetter und Erbauliche Betrachtung. In letzterem besingt er seine Füße, die ihn treu durchs Leben getragen haben.
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"Den metaphysischen Trieb in ähnlicher Weise zu stillen, wie es dem römischen Katholizismus  gelang, dieser revolutionsfeindlichsten aller Ordnungsmächte, ist dem Protestantismus niemals möglich gewesen." So E. G. Kolbenheyer (Karst III, S. 192). Das erklärt die große Zahl deutscher Dichter, die im Alter zum Katholizismus konvertierten (die Liste ist lang und endet nicht bei Ernst Jünger).
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Arkadi Waksbergs Biographie des sowjetischen Generalstaatsanwalts Wyschinski trägt zu Recht den Titel Gnadenlos. Das Porträt eines Massenmörders ohne jegliches Gewissen - und dennoch eines Menschen, der sein Leben in ständiger Angst verbracht hat vor dem allmächtigen und unberechenbaren Stalin, auf den er immer lautere Hymnen sang. Man empfindet Erleichterung, wenn er endlich tot ist und stellt dann entsetzt fest, daß man ihn selbst hätte erschießen können. Mörder machen grausam.
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Die Wehrmacht singt Heinrich Heine

Daß Heines Gedicht „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …“ mit der Zuschreibung „unbekannter Dichter“ in Anthologien und Lese- und Liederbüchern auch die NS-Zeit überlebt habe, ist einen ebenso widerlegte wie zählebige Legende. Niels Kaiser hat in seiner Sendung „Verfasser unbekannt“ – Heines Loreley im Dritten Reich (heute noch über die Netz-Seite des hr2 – kultur abrufbar) die Entstehung dieses Gerüchts ausführlich und sorgfältig recherchiert dargelegt.
Bis heute ist kein einziges Buch mit dem „Verfasser unbekannt“-Verweis gefunden worden.
Aber es gibt doch einen ähnlichen Fall, der sich – ein Zufallsfund – in der Feldpostausgabe Der Kilometerstein. Eine lustige Sammlung. Herausgegeben von Ludwig Voggenreiter. Potsdam: Voggenreiter 1942 auf S. 228 f. nachlesen und -singen läßt:
1. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin; ein Mädchen [sic!] aus uralten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn. Und die Luft ist kühl und dunkel, und der Abendstern, der funkelt, und ganz ruhig fließt der Rhein in das Bingerloch hinein. Der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein.
2. Die schönste Jungfrau sitzet dort oben wunderbar, ihr goldnes Geschmeide blitzet, sie kämmt sich ihr goldnes Haar. Und sie kämmt es mit dem Kamme und sie wäscht sich mit dem Schwamme und sie singt ein Lied dabei von der schönen Lorelei, das hat eine wundersame, gewaltige Melodei.
3. Den Schiffer im kleinen Kahne, den ergreifts mit wildem Weh. Er sieht nicht die Felsenriffe, er sieht nur hinauf auf die Höh. Und da macht er falsche Griffe, und da kippt er aus dem Schiffe, aus dem kleinen Äppelkahn in den großen Ozean. Und das hat mit ihrem Singen die Lorelei getan!

Bei Soldaten
Nach der Melodie: „Wer will unter die Soldaten“

Der Name Heine fällt nicht, während sonst Autoren und Komponisten, soweit bekannt, aufgeführt werden. Es fehlt aber auch die Bemerkung „unbekannter Dichter“. Der Verfasser der Zugaben bleibt unbenannt. Über die Motive, dieses Lied aufzunehmen und so aufzunehmen, kann man nur rätseln. Vermutlich nur Klamauk und nicht etwa der subtile Versuch, durch die Hintertür die Erinnerung an Heine wachzuhalten. – Die beigegebenen Illustrationen (von Heiner Rothfuchs) kann man in diesem Falle wirklich als adäquat bezeichnen. Der Text steht im Abschnitt „Bunter Abend“, Unterabschnitt „Allerhand Unsinn“. Sowohl Illustrator als auch Herausgeber stammen aus der Pfadfinderbewegung, was dem Buch deutlich anzumerken ist. Es gibt Ausgaben für Akkordeon, das für den Marschgesang wenig geeignet ist. Eine Feldpostausgabe geht aber eben ins Feld. Marschieren konnte man nach dieser Travestie nicht, aber für einen „lustigen Kameradschaftsabend“ war es denn wohl das Passende.
Die Netz-Seite www.Deutsches Lied.com erwähnt die „Parodie“ in ihrer Auflistung von Vertonungen und Veröffentlichungen des Heine-Liedes, ohne auf die Problematik einzugehen (was ja auch nicht das Anliegen dieser Seite ist).
Parodieren kann man nur, was bekannt ist. Und so spricht auch diese Veröffentlichung für das Weiterleben des Heine-Gedichts, das ja selbst parodistische Elemente aufweist.
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Mein liebster Buchtitel:
Ohne mich. Eine einsame Revolution. (Roman von M. Krleza)
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Je länger ich lebe und lese, desto älter werden meine Lese-Bücher und desto mehr lese ich Bücher zum wiederholten Male. Das gibt viele Enttäuschungen, vieles hält nicht stand und kann den Jugendeindruck nicht wiederholen oder gar verstärken. Zu den Ausnahmen: der ganze Hamsun.
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Wenn ich eine Bestsellerliste sehe, atme ich auf: wieder 10 Bücher, die ich nicht zur Kenntnis nehmen muß. Wer's nicht glaubt, der lese eine solche zehn Jahre alte Liste.
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Von Johann Karl August Musäus (1735-1787) leben eigentlich nur noch die Märchen, unter ihnen die von Rübezahl, die ich vor kurzem mit Gewinn und Vergnügen wiedergelesen habe. Seine "Physiognomischen Reisen" sind nicht mehr zu erreichen, und wenn (antiquarisch) nicht zu bezahlen, aber seinen Roman "Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N" konnte ich mir besorgen. Natürlich nicht in der 250 Jahre alten Originalausgabe, aber die TREDITION CLASSICS druckte das Buch neu - sehr erfreulich. Danke! Es ist die Geschichte eines Adligen, der die Literatur wörtlich nimmt und an die reale Existenz Grandisons, einer Romanfigur Richardsons, glaubt und wie dieser zu leben versucht. Sein schelmischer Neffe in England bestärkt ihn durch fiktive Briefe, und seine Verwandten, Bekannten und Freunde spielen das Spiel mit. Der Briefroman langweilt nie, die Figuren sind als Charaktere ausgebildet (erstaunlich die selbstbewußten Frauen!) und gewinnen immer mehr Kontur. Gegen Ende allerdings zerflattert die Geschichte, die Fäden bleiben in der Luft hängen, und das Hauptmotiv wird blind. Aber mal selber lesen.
Leider ist das Buch aber eingescannt worden, einen Lektor hat man sich aus Kostengründen versagt, und so bittet der Verlag gleich eingangs um Entschuldigung für die in der Tat unzählbaren, z. T. sehr sinnentstellenden Druckfehler (Lang-s und f werden häufig verwechselt), zudem macht der Scanner aus jedem Fliegenschiß einen Buchstaben. Für den letzten Band hatte man wohl eine bessere Vorlage, die Fehler verschwinden fast ganz. Na gut, dafür geht der Preis in Ordnung.
Aber woher auch einen Lektor nehmen, der noch Fraktur lesen kann? Junge Leute lernen das nicht mehr. Auf eine entsprechende Bitte meinerseits an das Bildungsministerium, doch die Schüler mit dieser Schrift vertraut zu machen, erhielt ich von einer promovierten Mitarbeiterin die Antwort, das sei nicht nötig, diese Schrift habe ja nur ganz kurze Zeit existiert, und alles Notwendige gäbe es ja in der "neuen" Schrift - damit meinte sie die um 1000 Jahre ältere Antiqua, die lateinische Schrift, die wir heute fast ausschließlich benutzen und der wir das langweilig-graue Schriftbild unserer Bücher verdanken (abgesehen davon, daß sich Fraktur schneller und eindeutiger lesen läßt als Antiqua). Aber Ideologen kann man nicht aufhalten, schon gar nicht mit Argumenten.
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In seinem anekdotenreichen "Geschichtsbild" Die französische Revolution führt Thomas Carlyle
(1795-1881) auch die folgende an:
Der gaffende Pöbel begafft Holzschnitte oder Kupferstiche, auf denen z. B. ein Bauer dargestellt ist, der an sein um ihn versammeltes Hausgeflügel folgende Ansprache richtet: "Liebe Tiere, ich habe euch zusammengerufen, damit ihr mir ratet, in welcher Sauce ich euch zubereiten soll." Ein Hahn, der darauf erwidert: "Wir wollen aber gar nicht verspeist sein," wird mit den Worten unterbrochen: "Sie weichen von der Frage ab"
Carlyle, Thomas: Die französische Revolution. Neue Ausgabe in zwei Bänden. Halle a. d. S.: Hendel o. J. [1895]. Bd I, S. 75.
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Kleine Notizen von mir zu Heinrich von Kleist finden Sie unter Stimming's Inn, der Netzseite von Peter Staengle.
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In den Anmerkungen zu seiner Macbeth-Übersetzung (Cadolzburg: ars vivendi 2001, S. 214) teilt Frank Günther mit, er habe das hail der Hexen nicht korrekt mit Heil dir übertragen, weil er gegen diese Wörter "eine unüberwindliche Aversion" hege. Nun, das ist gewiß ein braves und lobenswertes Gefühl, beim Übersetzen hat es jedoch keine Rolle zu spielen. Zudem wäre das "Heil" hier durchaus angebracht, gilt es doch einem Mörder und Usurpator.
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Die Titelheldin in Fieldings Roman "Amelia" (1751) ist unsagbar gut, überwältigend zart, sensibel bis zur Ohnmacht, liebend bis zur Selbstaufgabe - da freut es den Leser, wenn dieses ätherische Wesen doch auch eine menschliche Seite hat. Zum Essen nämlich setzt sie sich "mit ihren Kinderchen beim Nackenstück eines Hammels und Fleischbrühe zu Tisch", dazu 'ne Pulle Porter. Selbst Engel haben halt ihre irdische Seite. (Berlin und Weimar: Aufbau 1972. S. 247)
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Wer wissen will, was Ausbeutung, Hunger, Unterdrückung, Folter, Diktatur, Armut und Verzweiflung (und Auflehnung) sind, der lese Saramagos Roman "Hoffnung im Alentejo".
Aber auch dann wird es nur Wissen, nicht Erfahrung.
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Grossmanns bewegendem Roman "Leben und Schicksal" merkt man doch an, daß die Schilderung der Feindseite (der Deutschen) nicht auf eigenem Erleben und direkter Anschauung beruht. Da werden einige Greuelmärchen konstruiert, denen man die Herkunft aus der Kriegs-"Prawda" nur allzu deutlich anmerkt (etwa das öffentliche Verbrennen einer Zigeunermutter mit ihrem Sohn zur Blasmusik) - während man die russische (sowjetische) Seite erschüttert nacherlebt.
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Die "Geschichte Peter Clausens" von Adolph Freiherr Knigge - höchst vergnügliche Lektüre mit vielen Spannungsmomenten und Überraschungen. Und nach fast 250 Jahren die unerquickliche Erkenntnis: Die Welt ändert sich, die Leute bleiben sich gleich.
Nebenbei ein Stück Kulturgeschichte: Essen, Trinken, Bordelle und Spielhöllen, Kleidung und Hygiene - bis hin zum Klopapier. - Eingeschaltet der "Traum des Herrn Brick" von einer besseren Welt.
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Früher beschrittene Wege, ist das nicht etwas, das zu dem Schönsten oder Schlimmsten im menschlichen Leben zu rechnen ist? Wo der Pfad führte, durch die Einöde oder die wimmelnden Gassen einer großen Stadt, über die stille Wiese, der grünen Hecke entlang, oder durch den grünen Wald, es redet überall der Boden unter den Füßen und mahnt: Erinnere dich, erinnere dich!
Wilhelm Raabe: Abu Telfan
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Vor dem Hintergrund des Islam neu lesen:
Max Frisch: Biedermann und die Brandstifter
Karel Čapek: Der Krieg mit den Molchen
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Wenn man Storms Novellen in der Chronologie ihrer Entstehung liest, kann man das Werden des Meisters sehr deutlich erkennen, von den unbeholfenen Anfängen (mit meisterlichen Passagen), dem nochmaligen Abgleiten in den absoluten Kitsch ("Psyche") bis hin zu den ersten gelungenen Werken (mit noch unmeisterlichen Passagen).
Und am Ende dann der "Schimmelreiter".
Aber wie konnte Storm nach dem Gipfel des "Hans und Heinz Kirch" wieder in die tiefsten Niederungen des "Schweigen" abrutschen?
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Habe mir nun wirklich frommen Herzens noch einmal den Thomas Mann vorgenommen und schon beim oberflächlichen Anlesen gelangweilt und angewidert weggelegt. Diese Platitüden! Diese gespreizte, hölzerne, gedrechselte Sprache! Die aufdringlich vorgetragene Halbbildung, dieses Sendungsbewußtsein beim Fehlen jeglicher Substanz - und dazu der fiese Charakter, der bis in die Bücher durchschlägt. Und das habe ich vor 50 Jahren doch wenigstens teilweise mit Interesse gelesen (aber auch damals schon den "Joseph" nur, weil wir darüber ein Spezialseminar hatten). Gottfried Benn hat völlig recht: Eine Seite Hamsun wiegt den ganzen Thomas Mann auf. Wer's nicht glaubt, der muß dreimal "Königliche Hoheit" lesen. Na ja, zweimal.
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In den Preußen-Anekdoten (Köln: Parkland 2004) ist über Kaiser Wilhelm I. auf S. 615 zu lesen:
"Keinem der zivilisatorischen Laster war er verfallen. Er las nicht, er trank nicht, er spielte nicht, der [sic!] rauchte nicht." – Zumindest Nichtraucher bin ich auch, aber Skat und Rotwein – und dann lese ich auch noch! Die Hölle ist mir sicher. Aber zumindest werde ich Wilhelm dort nicht begegnen.
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Die verdienstvolle Lyrikreihe Poesiealbum der DDR, seit einigen Jahren fortgesetzt vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst, umfaßt inzwischen weit über 300 Hefte. Ich dürfte einer der wenigen sein, der sie alle besitzt – und gelesen hat. Ein umfassendes Bild der deutschen und internationalen Lyrik.
Und dennoch fehlt in diesem Spektrum eine Farbe: Konservative Dichter sind sorgfältig und ängstlich ausgespart: Miegel und Börries von Münchhausen, Weinheber und Carossa, Lersch und Bröger, um nur einige zu nennen. Sie werden auch nicht mehr kommen, dazu ist die Szene zu ideologisch fixiert. Jemandes künstlerische Meisterschaft anzuerkennen, obwohl man seine Überzeugungen nicht teilt, das ist besonders in Deutschland undenkbar.
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Die Tagebücher von Fritz J. Raddatz: ein einziger Jahrmarkt der Eitelkeit. Das typische Adabei-Buch. "Adabei" nennt man in Wien jemanden, der bei "Events" eben "a dabei" war. Grass' Geburtstag, Brandts Empfang - Raddatz war dabei. Literatentratsch, also solcher natürlich vergnüglich zu lesen, aber eben nicht mehr. Da schreibt er natürlich auch, wie ihn der Golfkrieg aufwühle und wie sehr auch die Tatsache, daß die doofen Deutschen trotzdem Champagner und Austern schlürfen (wie das die Deutschen bekanntlich ständig tun) - aber der Krieg ist eine Seite weiter schon vergessen, und R. schlürft Champagner und Austern. Und dann ständig dieser Kult um sein schwules Unterleibsleben: Wen interessiert, mit wem er da in die Kiste hüpfte.
Dazu heute in der Presse die Nachricht vom Tode Rasputins - das ist denn doch ein anderes Format.
 Raddatz nennt die Deutschen ein "ekelhaftes Volk" - man stelle sich vor, er hätte das gleiche etwa von den Türken gesagt oder gar von den … – nein, das wage ich nicht einmal zu denken.
Die Häßlichkeit zeige sich u. a. darin, daß Neonazis einer Behinderten ein Hakenkreuz in die Haut geritzt hätten. Daß die Betreffende sich das selbst zugefügt hat, wie sich wenig später herausstellte, läßt er unerwähnt. Ekelhaft.
Das ganze Buch ist eine Intellektuellen-Peep-Show.
Und dann lehnt er ein Honorar für ein Artikelchen ab, davon könne er ja gerade seiner Haushälterin zwei Monatsgehälter zahlen. Was wohl diese dazu sagen würde?
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Stifters letzte Erzählung "Der fromme Spruch" nun aber doch nicht genießbar. Graugekleidete Menschen packen grau verpackte Päckchen aus, in denden sich graue Schlüsselbänder befinden, lassen sich von einer der fünf Dienstmädchen eine graues Tuch umlegen, um dann einen mit grauem Moos bewachsenen grauen Stein in der Landschaft zu betrachten. Diese Menschen tun absolut nichts, ihre Gespräche sind von absoluter Nullität. Grauenvoll.
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In einem literarischen Stadtführer zu Tübingen schreibt der Germanist und Autor Andreas Rumler (vergessen Sie den Namen sofort!) u. a. zu Kolbenheyer, daß sich in seinen Werken „blonde germanische Lichtgestalten … gegen ,artfremde‘ Ideen zur Wehr“ setzen – erstaunlich, wieviel Blödsinn man in wenigen Worten unterbringen kann. Der Mann kann unmöglich ein Buch von Kolbenheyer auch nur in der Hand gehabt haben. Aber politisch korrekt ist das natürlich.
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Das Hölderlin-Zimmer in Tübingen wirkt eben durch seine Leere (nur zwei Stühle, die eventuell aus seiner Zeit stammen könnten), bedrückend und anrührend. Wie tröstlich dagegen der Blick durch die drei Fenster auf den Neckar und die Alleen-Insel.
Sein Denkmal übrigens von irgendwelchen Lechten oder Rinken besudelt.
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Für Ernst Jünger ist Churchill der Schuldige am Zweiten Weltkrieg - wie Clemenceau am Ersten.
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Höchst vergnügliche Lektüre von Friedrich Huchs Parodien des Tristan / Lohengrin / Holländer. Wie dieser Autor mit dem Reim umgehen kann! Wie der sich der Aussage fügt und sie prägt! Dergleichen gibt es heute nicht mehr.
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Eduard Engel, Literaturhistoriker, Sprachpfleger (Fremdwortfeind!), national gesinnter deutscher Jude, nebenbei Anreger der Sommerzeit und Erfinder der inzwischen verschwundenen Bahnsteigkarte, starb - man ist versucht zu sagen: gerade noch rechtzeitig - 1938 bei Potsdam. In seinem 1931 bei Koehler & Amelang in Leipzig erschienenen Buch "Selbstgedachtes" schreibt er über einen bis heute bestehenden Gebildeten-Sprach- und Sprechfehler:
Die Million Hamburgischer Bürger zerfällt in zwei Bildungsschichten, in die 50000 Gebildeten, die Thalía-Theater sagen und sich lustig machen über die 950000 Ungebildeten, die Thália-Theater sagen. Ein Hauptspaß ist, daß die 950000 richtig, die 50000 falsch sprechen. Als ich diese unbestreitbare Tatsache einmal in einem Vortrag in Hamburg nebenbei mitteilte, lief ein Schauer des Entsetzens durch den Saal, in dem lauter Thalía-Sager saßen. (S. 73)
Sagen Sie heute mal "Thália", das Mitleid der Verkäuferinnen in Geschäften mit diesem Namen, in denen auch Bücher verkauft werden, blickt Ihnen nach.
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Arno Surminskis "Vaterland ohne Väter" wird erzählt von einer Frau, deren Vater vor ihrer Geburt in Rußland gefallen ist - auch mein Schicksal, das von ca. zwei Millionen Deutscher. Surminski erzählt von normalen Menschen, die in eine unnormale Situation gezwungen werden und unnormal werden.
Das kleine Tagebuch meines Vaters, so ziemlich das einzige, was ich von ihm besitze, berichtet ähnliches.
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Houellebecq: Unterwerfung
Die vielgeschmähten sexuellen Obsessionen des Protagonisten erleichtern ihm letztlich die Unterwerfung - in die muslimische Vielehe nämlich.
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Paul Zechs Exilromane Michael M. irrt durch Buenos Aires und Deutschland, dein Tänzer ist der Tod sind geprägt von glühendem Haß gegen die Nazis. Das ist verständlich und berechtigt - aber für die künstlerische Gestaltung denkbar schädlich. Haß ist keine gute Muse.
Als Dokumente der Zeit und des Lebens im Exil aber sind beide Bücher höchst aufschlußreich.
Herausgegeben wurden sie von Helmut Nitzschke, der sich 1999 - auch aus Verzweiflung über die Zerstörung seines Greifenverlages durch die Treuhand - das Leben nahm.
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Jean-Jacques Rousseau, einst leuchtendes Vorbild der französischen Revolutionäre, der deutschen Stürmer und Dränger und der Naturbewegung im 20. Jahrhundert, einflußreicher Pädagoge, der für die natürliche Entwicklung der Kinder eintrat – eben diese Lichtgestalt war, wenn man Egon Friedell in seinem Essay über ihn glauben darf, ein Heuchler, Lügner, Betrüger, Dieb, ein Krawallautor, dem der Effekt alles war, er war niederträchtig gegen seine Gönner wie Voltaire, Hume, Madame d’Epinay, Friedrich den Großen, er wechselte aus Karrieregründen mehrfach seinen Glauben, lieferte seine eigenen Kinder kalten Herzens im Findelhaus ab, er war ein Schnorrer, ein „brutaler Plebejer“, der das von ihm gelobte Landleben floh und seine demonstrative Armutskleidung vom besten Schneider machen ließ … - reicht’s?
Das Schlimme ist: Friedell hat in jedem Punkte recht.
Friedell, Egon: Vom Schaltwerk der Gedanken. Zürich: Diogenes 2007. S. 350-364.



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