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Sofia de Melo Breyner Andresen



Sofia de Melo Breyner Andresen


Geographie

 

IGRINA


I
Igrina

Der Schrei der Grille erreicht am Nachmittag seinen Höhepunkt und der Duft des Oregano dringt in die Glückseligkeit. Die Allmacht der Sonne bestimmt mein Leben und gibt mir alle Dinge zurück. Deshalb nahm ich mit mir nur die Lilie des kleinen Strandes. Dort erhebt sich vollkommen die Säule des ersten Tages – und ich sah das Meer, das sich in ihr spiegelt. Igrina.
In dieser Zeit kehrt der Duft des Oregano zurück, der Schrei der Grille in der Allmacht der Sonne. Meine Schritte klopfen den Boden ab, während das Glück der Begegnung mich beruhigt und sättigt. Mein Königreich gehört mir wie ein Kleid, das sich an mich schmiegt. Und über den Sand und über den Kalk und über den Stein schreibe ich. An diesem Morgen kehrt die Welt zu mir zurück.



Morgen

Am Morgen, aufrecht und klar von der Terrasse,
Suchte ich vergebens meine Tränen und meinen Schatten
*
Der Duft des Oregano lebt in der Mauer,
Mitschuldig an Dornen und der Schlange
*
Am Strandmittag gibt mir die Sonne
Augen aus Wasser, Hände aus reinem Sand.
*
Das Licht verbindet Meer und Gesicht
Und nicht einmal die Linie des Wassers kann uns trennen.
*
Ich tauche bis in die Kammern meines Herzens,
Heiser vom Schweigen und hartem Dunkel.
*
Das Vorgebirge segnet die Klarheit,
Das Licht verläßt und reinigt mich.


Von Stein und Kalk

Aus Stein und Kalk die Stadt
Mit weißen Glockentürmen
Aus Stein und Kalk die Stadt
Mit einigen Feigenbäumen

Aus Stein und Kalk sind
Die weißen Labyrinthe
Und das Weiß des Salzes
Ersteigt die Stufen

Aus Stein und Kalk die Stadt
Alles kariert
Wie ein Schachspiel
Mit nur weißen Figuren

Ein Schachspiel nur mit Türmen
Und Seepferdchen
Die ihre Mähnen schütteln
Unter den Augen der maurischen Frauen

Geh langsam
Denn der Boden ist gekalkt



Benannte Welt
oder Die Entdeckung der Inseln

Sie fuhren von Kap zu Kap und benannten
Vorgebirge und kleine Buchten:
Steilküste und Strände erschienen,
Als ob sie nach ihnen suchten.

Und all das Versunkene hat seinen Namen
Und taucht aus seinem Dunkelreich,
Antwortet auf seinen Namensruf
Als seien sie der Schöpfung gleich.


Senhora da Rocha

Du bist nicht wie Vitória à proa
Du öffnest nicht die Flügel deiner Vorgebirge
Du gehst nicht barfuß in deinen quadratischen weißen Höfen
Du entfaltest nicht deinen Umhang als Windskulptur
Du bietest nicht deine Schulter den reinen Pfeilen des Lichts

Aber an der Klippe des Vorgebirges
In deiner kleinen Kapelle, heiser von Schweigen
Unbeweglich stumm, beugst du im Gebet
Dein hölzernes Gesicht, bemalt wie ein Boot

Das Reich der alten Götter hat nicht vom Tod befreit
Und wir suchen einen Gott, der mit uns den Tod besiegt
Und deshalb bist du im Gebet bis zum Ende der Welt
Denn du weißt, daß wir wandeln unter dem Schafott der Zeit

Du weißt, daß es für uns immer
Jenen Augenblick gibt, der das Band zwischen Menschen und Dingen zerreißt
Die Marmorgötter tauchen ins Meer
Menschen und Schiffe ahnen den Schiffbruch

Und deshalb gehst du nicht mit den Winden
Im klaren Raum des weißen Lichts
Und wohnst nicht im Zentrum der aufgeregten See
Der alte Kreis der geblendeten Götter.

Aber umfangen vom Kalk der Höfe und Mauern
Bestürmt durch die Klage des Meeres und die Stärke des Windes
Neigst du dein Gesicht

Beständig empfangend wie eine Antenne

II
Sturmvogel

Sturmvogel


Sieh, bei Sturm und großer Woge
Baut er das Nest im rasenden Rollen
Und fliegt sicher und fest wie ein Geschoß

Seine Flügel weiht er dem Sturm
Wenn die Löwen des Meeres brüllen in ihren Grotten
Über die Abgründe stürmt er voraus

Er sucht nicht Klippen nicht Kap nicht Kai
Aus der Gefahr kommt seine Kraft
Aus der Todesgefahr seine Nahrung

Und deshalb gleicht sein Bild dem
Der lebt und singt in böser Zeit


Die Stadt der anderen

Schrecklich scheußlich riesig:
Die Lüge
Bedeckt die Stadt

Ein Rauschen der Verbindungen
Eine Telegraphie
Ohne Gesten Signale Kabel

Das Böse sucht das Böse und sie verstehen sich
Kaufen und verkaufen

Und mit dem Geschmack eines toten Dinges
Schlägt die Stadt der anderen
An unsere Pforte


Ich verlor mich

Ich habe mich verloren im Schmutz einer Welt
In der man
Polizei Wucherer Pharisäer
Oder Kokotte sein muß

Ich habe mich verloren im Schmutz der Welt
Und rettete mich in die Reinheit der Erde

Ich suchte mich im Wind und fand mich im Meer
Und niemals
Verließ ein Schiff die Küste
Ohne mich aufzunehmen



Diese Menschen

Diese Menschen, deren Gesicht
Oft leuchtet
Und oft roh ist

Jetzt denke ich an die Sklaven
Jetzt denke ich an die Könige

Meine Lust wird neugeboren
An Kampf und Schlacht
Gegen Geier gegen Schlange
Gegen Schwein und Habicht

Das Gesicht der Menschen
Ist gezeichnet von Geduld und Hunger
Es sind Leute in die
Ein besetztes Land
Seinen Namen schreibt

Unbekannt und gesetzlos
Wie der Pflasterstein
Und mehr als ein Stein
Demütig und getreten

Mein Lied erneuert sich
Und wieder beginne ich die Suche
Nach einem freien Land
Nach einem sauberen Leben
Und einer gerechten Zeit


Reiche Totenwache

Der Tote ist düster und verhüllt
Umkreist von unruhigen Erben wie Schatten
Die den Raum quälen mit ihren Sünden


Lorcas Grab

In dir beweinen wir all die anderen Toten
Die erschossen wurden in Nächten ohne Datum
Die sich namenlos verlieren im Schatten der Kerker
So daß wir nicht einmal nach ihnen fragen
Oder ihr Gesicht erraten können
Wir weinen ohne Trost für die Unterlegenen
Gespießt auf die Hörner der massigen Macht

Wir können nicht vergessen. Dein Blut trocknet nicht.
Wir können nicht schlafen im Schweigen deines Todes
Deine wilde Todesstunde ist ohne Ende
Und die Erde in die sie dein Grab öffneten
Ist eine Wunde die sich nicht schließt

Dein Blut findet weder Ausweg noch Mündung
Von Nord nach Süd von Ost nach West
Wir ertrinken lebend in deinem Blut
Der blanke Kalk jeder weißen Mauer
Schreibt daß du ermordet wurdest

Wir können nicht vergessen. Der Prozeß ist nicht abgeschlossen
Denn du wurdest nicht verschont von der Pranke der Bestie
Die Nacht kann unsere Trauer nicht trinken
Je mehr sie dich verbergen desto unbegrabener bleibst du


Neon

Entblößendes und grausames Licht
Das die Dinge nicht umschmeichelt
Sondern aufschlitzt
Von außen nach innen

Schlafloser Raum ohne Zuflucht

Gleich einer Schändung
Gleich einem geplündertem Zimmer

Maschinenlicht und Fantasma


III
Die Nacht und das Haus



Quadrat

Laß mich im Dunkel
Denken an der Mauer
Laß mich im Licht
Messen meinen Schatten
Vor dem Quadrat
Des nächtlichen Fensters


Ich höre

Ich höre aber ich weiß nicht
Ob es Schweigen ist was ich höre
Oder Gott

Ich höre ohne Wissen was ich höre
Das Echo der leeren Ebenen
Oder ein fernes Bewußtsein
Am Ende des Universums
Das mich entziffert und durchschaut

Und trotzdem: Ich gehe meinen Weg
Den erblickten geliebten bekannten
Und lege in jede Bewegung
Feierlichkeit und Risiko


Bach Segovia Gitarre

Die Musik des Seins
Belebt diese Wüste
Mit ihrer Gitarre
Oder mit den Sandharfen

Worte Silben
Eins um das andere
In der Stimme der Gitarre

Die Musik des Seins
Im Schweigen
Ruft sie ihre eigene Zeit
Die mir Heimstatt gibt

Worte Silbe
Einander vereint
An die Wände des Hauses

Als Gefährtin habe ich
Die Stimme der Gitarre

Ich höre im Schweigen
Den Gesang der mich ruft
Von weit her

Und jetzt trennt mich nichts mehr
Von mir
Wenn ich höre
Die Musik des Seins
Die gerufene Erinnerung
Im Schweigen des Sandes
Der nie betreten wurde


Licht

Im Lichtkreis
Verläßt das Haus den Schatten
Besehen
Leicht erschrocken

Im Lichtkreis
Strebt das Haus
In dichter Erwartung
Und fast worthaft

Im Kreis der Flamme
Die die kleinste Brise beugt
Die ein Hauch löscht
Bleibt das Haus stumm

Während die alte Nacht
Unermeßlich da draußen
Ihre Wunder webt
Ihre Jahrtausende reiht
Von Raum und Schweigen
Von Glanz und Finsternis


Das Licht und das Haus

Im Lichtkreis
Schattig und blendend
Sucht sich das Haus

Meine Hände spüren fast
Das sanfte Atmen
Seiner reinen Aufmerksamkeit


Die Nacht und das Haus

Die Nacht vereint das Haus und sein Schweigen
Von Grund und Keller
Bis zur unbewegten Blüte
Man hört nur das Schlagen der Uhr

Die Nacht vereint das Haus und sein Schicksal

Nichts wird zerstreut nichts wird getrennt
Alles ist wie eine lauschende Zypresse

Die Leere geht durch die lebenden Räume


IV
Doppel


November

Der grüne und kühle Atem des November
Bläht die blauen Zedern und den Efeu
Und der Wind beunruhigt mit fernem Unglück
Das geborgene Laubwerk der Rosen


Stern

Mein Stern ist der des Todes aber in mir
Ist ein Gleichgewicht ist eine Gemeinschaft
Von Einsamkeit und den Dingen da draußen


Von einer toten Liebe

Von einer toten Liebe bleibt
Ein bleierner Alltag
Wo die Gesten sich stoßen
Ein Jahr lang

Von einer toten Liebe bleibt
Keine Erinnerung
Das Vergangene ermattet
Der Tag verschlingt sie
Und die Schiffe der Zeit
Schmal und leicht
Tragen sie hinweg

Die tote Liebe hinterläßt
Kein Bild in uns
Aber das dauernde Vergessen
Ist dennoch da
Und ignoriert die Ewigkeit


Epigramm

Die Sturmfluten antworten mir
Die Mauern des Schweigens spiegeln mich


Die Leere prägte seit je

Die Leere prägte seit je dein Gesicht
Alle Dinge lehrten uns
Das perfekte Sein deiner Abwesenheit


So ist die Liebe

So ist die Liebe
Sie erschreckt mein Sehen mit deinem Haar
Erschreckt es mit deiner Pferdeschar
Den großen Stränden den strömenden Straßen
Die beben und atmen in stetem Verweilen
Die dunklen Lärm in uns hinterlassen
Und die Zeit an der Grenze der Ackerzeilen

Vergeblich sucht‘ ich das ewige Licht


Die Flöte

Im Winkel spielte der Schatten mit seiner kleinen Flöte
Und erinnerte mich an die Zisternen und Medusen
Und den toten Glanz des nackten Strandes

Ich steckte den Ring der Nacht feierlich an meinen Finger
Und die Schiffe des Schweigens setzten ihre uralte Reise fort.


In der Wüste

Die Hälfte von mir Pferd und ich beherrsche dich
Zwinge dich mit Sporn und Zaum

Sonst gehst du verloren in den toten Städten
Sonst gehst du verloren
In den Märkten von Babylon
In den blutigen Riten von Ninive

Und ich richte deine Nüstern auf die reine Wüste
Auf den reinen Duft der Wüste
Auf ihre Einsamkeit von Ende zu Ende

Deswegen also besiege bekämpfe beherrsche ich dich
Und die Kandare schneidet der Sporn und die Zügel verletzen dich

Um frei zu sein in der Wüste
Wo wir eins sind
In der reinen Wüste mit ihrem Duft der Sterne
In der großen reinen Klarheit der Wüste
Im inneren Raum jedes Verses
Verlorenes Licht und Feuer aber nah
Wo wir eins sind


Im Zimmer

Im Zimmer quält uns der Geschmack des Hungers
Unsere Gedanken irren zwischen den weißen Wänden
Offenen wie große glatte Seiten.
Unser Denken irrt ruhelos zwischen den Karten
Unser Leben ist wie ein Kleid, das nicht mit uns wächst


Der verlorene Sohn

Verstoßen aus deinem Erbe
Hast du deine Kräfte vergeudet in den Irrungen der Heimat
Hast du das karge Brot gegessen der verwüsteten Saaten
Bis du deine Schritte zurücklenktest:
Verlorener Sohn den kein Vater erwartete


Auf dem Wege

Auf dem Weg durch die Wüste wußte ich
Daß jemand sterben würde

Aber ich dachte unter der Himmelsglocke
- Wo
Ist die Grenze meiner Liebe meiner Kraft?

Und wenn ich nun stürbe vor der nächsten Oase
Mit verdorrter Kehle und der unendlichen Last
Der Sonne auf meinen Schultern

Wenn ich stürbe blind vor Helle
Zu müde um die Wunder zu sehen

Ich wußte
Daß jemand
Vor der nächsten Oase sterben würde


Der Weg

Meer und Zeit vom Fenster begrenzt
- Oh Hände gefaltet über dem alten Juni –
Von Jahr zu Jahr von Stunde zu Stunde
Folge ich blind dem Weg nach vorn

Wer wird meinen Leichnam trösten?


Das Haus

Das alte Haus umweht von den Winden
Mit seinen Nächten voll Staunen und Wunder
In dem die roten Engel kämpften

Das alte Haus in dessen Fenster
Die nackten und schwarzen Zweige sich kreuzten
Unter dem kalten Mondhimmel

Bleibt gegenwärtig wie ein Königreich
Und geht durch meine Träume wie ein Fluß


Die Nereiden

Oh Zimmer könnte ich deine Ströme behalten
Halten auf immer deinen weißen Würfel
Dicht von reinem Schweigen
Und lauschendem Leben

Behalten den Glanz
Der Kassiopeia vor dem Fenster
Behalten das Fallen
Der Wogen üben den Sand
Bewohnen für immer deinen Spiegel

Daß niemals die Zeit von meinen Schultern falle
Altes Geheimnis des Meeres
So wie die Nereiden
Niemals ihren Mantel aus Meer verlieren


Die Pforten des Hauses

I
Das Haus jetzt am Nachmittag
Ist nicht in den Spiegeln
Da ist der Fieberglanz einer alten Zeit
Die sich murmelnd erhebt

II
Mit dem Rascheln von Papier spielt der Wind in der Palme
Der Glanz der Sterne löscht unser Gesicht
Mit seinem nächtlichen Garten voll Leidenschaft und Duft
Dringt das Haus in uns ein und umfängt uns

III
Von weit sieht man das Haus in Weiß
Aber dunkel
Ist das Zimmer durchquert vom Fluß

IV
Da liegt das Haus mit tausend offenen Pforten
Die Schränke sind dunkel und leer
Die Leere geht ihre ersten Schritte
Im Zimmer wo ich mein Gesicht zum Monde erhob


Die Geometrie der Palmen

Die Geometrie der Palmen
Ist mein Lebenselixier
Ist mein Trank
Und die unendliche Abwesenheit
Sie ist mein Leben
Gegründet und geheim
Mit dem Steingeschmack
Und dem Duft des Windes


Die Spiegel

Die Spiegel entzünden ihren Glanz jeden Tag
Niemals sind sie trübe
Und selbst unter den Lidern der Dunkelheit
Funkelt ihre glänzende Pupille und blickt
Wie die einer Katze
Sie spiegelt uns ohne zu schmeicheln

Aber in der Abenddämmerung
Wenn die Starre ins Schweigen tritt
Geht der Ton zu den Spiegeln
Ins Licht das sie bewohnt und uns verbirgt
Das kommende Licht
Im Innern eines kalten und gläsernen Feuers


Gehen wir

Gehen wir in der vollen alten Welt
In den Schatten von Zypresse und Weinstock
Sehen wir das ewige Pulsen des Meeres
Im Schweigen der Monde und des Weizens

(Als wenn der Tod der Schmerz die Zeit das Glück
Uns niemals berührt hätten)

In unseren Händen läßt sich die Stille nieder
Wie der Mondschein sich senkt auf die Reben
Gegenüber dem Pulsen des Meeres
Im Duft von Wein und Rosen
Läßt sich der Schatten des Weinstocks nieder
Und in unseren Händen wohnt
Das Schweigen der Monde und des Weizens
In bedrohlicher und versprechender Ruhe

Und die Gedichte sind von eigener Art
- Ich singe vom Sein voll und vereint –
Alles wird dem Meer so nah sein
Wie der erste erinnerte Tag


IV
Mediterran


Acaia

Hier streifte ich mein Exilkleid ab
Und schüttelte von meinen Füßen des Staub des Zwiespalts


Im Golf von Korinth

Im Golf von Korinth
Sieht man den Atem der Götter:
Ein Bogen ein Licht eine Wolke
Um Berge und Inseln
Wie ein hellerer und starker Himmel

Und auch der Duft der Götter strömt durch die Straßen
Duft von Harz Honig und Frucht
In ihm die reinen und strahlenden Körper
Ohne Schmerz ohne Schweiß ohne Klage
Ohne eine Runzel im Gewand der Zeit

Es ist ein Licht von der Farbe der Liebe die aus dem Sonnenuntergang strömt
Es ist das Blut der Götter unsterblich und geheimnisvoll
Das sich mit unserem mischt und mit ihm kämpft


Sunion

In der Nacktheit des Lichts (im Innern und Äußern)
In der Nacktheit des Windes (der um sich selbst dreht)
In der Nacktheit des Meeres (doppelt durch Salz)

Alle sind in den Klippen von Sunion


Elektra

Das Gerücht von Sommer peinigt Elektras Einsamkeit
Die Sonne stößt ihre Lanze auf die verdorrten Flächen
Und löst ihr Haar wie eine Pranke
Und ihr Ruf hallt wider in den Nachbarhöfen
Wo in den senkrechten Höhlen die Hitze flimmert.
Und durchdringt den Gesang der Zigaretten
Und beunruhigt im Himmel das bronzene Schweigen
Der Adler die langsam ihre Kreise ziehen.
Ihr Ruf verfolgt die Meute der Furien
Die vergeblich versuchen in den Gräbern zu ruhen
Oder in den vergessenen Liedern des Palastes

Denn der Schrei Elektras ist die Schlaflosigkeit der Dinge
Und stößt die Klage ins Innere der Träume von Gewissensqual und Reue
Und die laute Anrufung
Im klaren Gegenüber des Äußeren
In der harten Sonne der Höfe

Damit die Gerechtigkeit der Götter herbeigerufen werde


Epidaurus

Die Distel blüht in der Klarheit des Tages. In seiner Süße öffnet sich die Feige. Jedes Ding in dieser Welt ist

ans Licht gebracht
gebracht an die Freiheit des Lichts
gebracht ins staunende Licht

Mich umhüllt Sonne und Schweigen. Ich rief um Palast und Minotaurus zu zerstören. Ich rief um den blauen Schatten des Minotaurus zu zerstören. Denn er ist unersättlich. Er verschlingt Tag für Tag die Jahre unseres Lebens. Er schlürft das blutige Opfer unserer Tage. Er frißt den Geschmack unseres Brotes und unserer Freude am Meer. Er kommt als Krake wie auf den Vasen von Knossos. Man sagt er sei der Abgrund des Meeres und die Vervielfachung der Wirklichkeit. Er könne ein Stein sein oder eine Alge. Er könne sich verdoppeln oder teilen. Seine Arme kreisen. Er ist rund. Aber gleich ist er ein Mensch der sich in die Macht der Stiere birgt.

Du kannst nur frei werden im Morgen von Epidaurus. Wo die Luft dein Gesicht berührt und dich die Sanftmut des Lichtes wiedererkennen heißt und dich unsterblich scheinen läßt. Deine Stimme ersteigt einsam die Stufen des bleichen Felsens. Und zu dir kehrt zurück die Ordnung der Silben – die klaren Wellen der Gelassenheit.


Tolon

Die Meereslinie zerschneidet die Spiegel
Und eine Sonne aus Salz flimmert über den Tisch.
Wir wohnen in der freien Luft am Rande des Tages
Dicht an der Frucht dicht am Wein und an den Wassern
Und unter dem Leichtgewicht des Laubes


Antinoos

Unter dem Nachtgewicht des Haares
Oder dem Tagmond deiner Schulter
Suchte ich die intakte Ordnung der Welt
Das nie gehörte Wort

Lange unter dem Feuer oder dem Glas
Suchte ich in deinem Gesicht
Die Offenbarung der Götter die ich nicht kannte

Aber du gingst durch mich hindurch
Wie wir durch den Schatten gehen


Hadriansvilla

Die Amphore umhüllt einen Raum des Schweigens
Wie jene
Im späten Herbst unter den Pinien der Villa Adriana

Die Zeit des feinen Sandes ist exakt bemessen
Die Jahrhunderte zerstören Statuen und Wände
Und auch ich werde vernichtet sein in wenigen Jahren

Aber plötzlich erlange ich wieder die alte
Gottheit der Luft zwischen den Säulen


Pompeji – Haus des Menandros

Die Gelassenheit eines lateinischen Verses
Klar und maßvoll
Belebt die Zeit der Wasseruhr – oder sie tropft
Zeit des reinen Sandes

Sie steht still – trotz des Todes und der Ruine –
Eine Wissenschaft dem Leben zugewandt
Daß die Freude des vorletzten Moments
Im jungen Licht ihr Glas erhebt

Und ich berühre im Schatten die Frische des Weins


Götterdämmerung

Ein erstauntes Lächeln keimte auf den Inseln der Ägäis
Und Homer ließ das Rosa über dem Meer erblühen
Kouros ging genau einen Schritt
Die Blässe der Athene schimmerte im Tag

Und so besiegte die Klarheit der Götter die Ungeheuer auf den Fronten der Tempel
Und in die Tiefen ihres Reiches flüchteten die Perser

Wir feierten den Sieg: die Finsternis
Wurde ausgesetzt und geopfert in den großen weißen Höfen
Und der rauhe Schrei des Chores reinigte die Stadt

Wie die rasche Freude der Delphine
Die Boote umspielt
War unser Körper nackt und fand
Sein exaktes Maß
Wir entdeckten: die Säulen Sunions vereint mit dem Licht

Und so verloschen
Die alten Götter und der innere Glanz der Dinge
Und die Leere öffnete sich die uns von den Dingen trennt
Wir sind berückt durch die Leere berauscht durch die Leere

Und zu den Boten des Julianus sagte die Sybille:

Geh und sag dem König daß sein Palast auf Sand gebaut ist
Phöbus hat keine Hütte und keinen prophetischen Lorbeer
Und keine melodische Quelle. Das redende Wasser verstummt.“

(Antwort des Orakels von Delphi an Oribas, den Arzt des Julianus, des Apostaten. Cedrenus, Resumo da história)


Termoli

Der fast volle Mond senkt sich über dem Meer
Anziehend und strahlend unter den schwarzen Tüchern der Nacht
So war es auch als wir uns den Ufern des Schweigens nahten
Und eine kleine Stadt erschien alt und bronzefarben



Ithaka

Wenn die Lichter der Nacht sich ruhig spiegeln in den grünen Wassern von Brindisi
Wirst du den wirren Kai verlassen wo die Worte aufgerührt werden die Schritte Boote Kräne
Die Freude wird in dir aufleuchten wie eine Frucht
Du gehst zum Bug in den Finsternissen der Nacht
In der Windstille ohne einen Hauch nur mit einem Flüstern der Muschel im Schweigen
Aber du wirst die Klippen spüren
Wenn das Boot in der geschlossenen Finsternis rollt
Du wirst verloren sein im Innern der Nacht im Atmen des Meeres
Es ist das Erwachen einer zweiten Geburt

Die Sonne über dem Meer wird dich in tiefem Blau wecken
Du wirst langsam auferstehen
Du wirst das Siegel der Urweisheit wiedererlangen
Auferstehen wirst du gekräftigt und gesammelt
Hergestellt und jung wie die antiken Statuen
Mit den geheimen Gebärden verborgen in den Falten deines Mantels






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Erwartung

Ich gehe spät schlafen
Ich warte auf ein ganz besonderes Schweigen
Das niemals früh kommt
Ich erwarte die Aufmerksamkeit und Konzentration der späten Stunde
Bitter und nackt
Und daß sich die Spiegel entzünden im zweiten Leuchten
Und daß man das Bild der Leere sieht
Und sieht wie sich die Hand erhebt
Und über den Tisch legt

Und sieht wie das Schweigen vorübergeht

Schiffahrt ehrwürdig und feierlich

Meer

I
Von alles Gegenden dieser Welt
Mir die am tiefsten ins Herze fällt
Jener Strand dort, ekstatisch und leer,
Wo ich eins bin mit Mond und mit Wind und mit Meer.

II
Ich rieche die Erde, die Bäume, den Wind,
Die der Frühling mit Düften durchwebt,
In denen Suche und Wünsche sind,
Und der wilde Anhauch der Wellen lebt,
Der wie ein Schrei sich zum Himmel erhebt.


Ich warte

Ich warte immer, den ganzen Tag, auf dich,
Wenn der Nebel über das Wasser strich
Aus Asche und Gold.
Und alle Dinge verheißen hold
Eine Ankunft, wunderlich.


Mondlicht

Die Wunder der Erde das Mondlicht enthüllt
Und gibt eine reine Seele den Dingen.
Der Wind läßt das Laub der Bäume singen,
Ein Leben, flüchtig, geheimniserfüllt.
Aus Schatten und Licht, Schrecken und Stille
Hebt sich meine Seele in ganzer Fülle.



Die Stadt

Die Stadt – der Lärm und Auf und Ab der Menge,
Schmutzig und unnütz vergeudet sich das Leben.
Wissen: Da muß es Meer und Strände geben
Und Ebenen und Berge ohne Namen,
So weit, so hoch – und ich hier in der Enge,
In Mauern, die die Luft mir nahmen
Und Mondenlicht und wie Gezeiten kamen.

Stadt, die mir das Leben raubt
Und meine Seele ins Dunkel stellt,
Die Seele, die vergeblich glaubt,
Daß Wellen sie und Wald erhält.



Landschaft

Unerwartet querten die Vögel den Raum,
Der Geruch der Erde war stark und bitter
Die Meer-Kavalkade der Wellenritter
Schüttelt die Mähnen aus weißem Schaum.

Der Himmel war blau, das Feld war grün,
Die Erde war trübe und dunkel,
Durch das stählerne Laub der Bäume schien
Zerstreutes Lichtgefunkel.

Da waren die Wege in trägem Gang
Und des Windes starke Hände,
Und da war der lichte Lockgesang
Der Flügel in flücht‘gem Gelände.

Die Pinien, in denen der Wind verweilt,
Gewicht und Farbe der Dinge,
Stille, die das Geheimnis teilt,
Und der Düfte betörende Schwinge.

Die Wahrheit war es, die Kraft vom Meer,
Dessen Stimme sich brausend erhebt,
Es war die ewige Wiederkehr,
Des Winds, der an Stränden lebt.



Evohé Bacchus

Der Geschmack von Harz und Sonnenglut
Vervielfacht die Sinne, ist göttlich und gut.



Oh Nacht

Wer pflückt die brennende Blume der Nacht?
Ich bin es und trete in dich ein,
Oder wird es die klare Geste sein,
Die die Blume eines anderen Seins gebracht?



Dionysos

Zwischen dem dunklen und schweigendem Laub
Der rote Himmel brennt.
Und geboren vom Abendfirmament
Geht Dionysos durch den Straßenstaub.

Des Septemberobstes Überquillen
Glüht in jeder Frucht und in seinem Gesicht,
Vollendung aus Farbe und Fülle spricht
Von Glorie, der brennenden, stillen,
Die der Gott kennt, wir Sterblichen nicht.



Schiffbruch

Es kam aus einer andern Welt,
Klangvoll, abgeschlossen, klar,
Das jetzt der Meeresboden hält,
Schwebend und jeden Lautes bar.

Der Kapitän – jetzt weiße Knochen,
Weiß wie der Sand,
Zwei Muscheln hat er in der Hand,
Algen sind sein Geäder fein,
Als Herz sich eine Qualle fand.

Und um ihn die Grüfte der tausend Farben
In vielerlei Formen, formenlos
Die Wasser die Farbe der Blumen erwarben,
Und gläserne Tiere, der Stimme bloß.

Und die verstreuten Körper im Sande
Beben, wenn die Sirenen ziehn,
Sirenen, flüchtig, mit rötlichem Haar,
Mit leeren Augen, unnahbar,
Grün wie bei Sehern der Magien.


Die Götter

Gleich einer Frucht sind sie geboren
Vom Lande, den Gärten, dem Meereslicht,
Vom Meer, das weiß die Welle bricht
Sind sie verzückter Klarheit erkoren.


Einsicht

Ich sah dich schnell vergangen,
Dich zu sehen versucht‘ ich vergebens,
Denn du warst das Herz meines Lebens,
Du warst all mein Hoffen, mein Bangen.

In jedem Gotte sah und lebte ich dich,
Deine Last war in mir und deine Trauer
Immer. Dann zerstörtest du mich
Mit deinen Schritten, stark und von Dauer.

Dein Schwert

Meine Seele ist verstreut und unstet,
So daß sie deinem Schwert entgeht.
Alles zerstört und überflutet mich,
Und so verbleibe ich ewiglich.

Wagen fahren vorbei

Wagen fahren vorbei und lassen das Haus zittern,
Das Haus, in dem ich allein bin.
Die Dinge, die einst gelebt haben,
Gibt es in der verlassenen Luft,
Formen, geprägt in der Leere,
Von den Stimmen und Gesten aus früherer Zeit.
Und meine Hände können nichts halten.

Aber ich lausche in die Nacht
Und brauche jedes Blatt.

Dein Leben wirbelt vor mir in der Luft,
Weit von mir …
Aber selbst um dieses Nichtsein zu ertragen
Muß ich allein sein.

Vor der Einsamkeit des ewigen Abschieds
Von Plänen und Fragen,
Von Kämpfen mit dem unwägbaren
Gewicht des Todes und der Klagen,
Vor der Einsamkeit, weil sie alles umfaßt.

Ich glaube an die Nacktheit meines Lebens.
Alles, was mir begegnet, ist unnütz.
Ich habe nur das Gefühl der Vergeblichkeit
Mit der Ewigkeit, über die Berge zu schweben.

Garten, verlorener Garten
Unsere Glieder umfassen deine Verlassenheit,
Die Blätter flüstern wieder dein Geheimnis,
Und meine Liebe ist verborgen wie die Angst.


Der Schrecken, dich zu lieben

Der Schrecken, dich zu lieben an einem Ort so gebrechlich wie die Welt.

Das Übel, dich zu lieben an diesem Ort der Unvollkommenheit,
Wo alles uns bricht und zum Schweigen bringt,
Wo alles uns belügt und trennt.


Wenn ich einst tot bin

Wenn ich einst sterbe und mein Leib vergeht,
Bleiben der Garten, der Himmel, das Meer,
Und vor meiner Pforte tanzt wie bisher
Der Wechsel des Jahres, ewig und stet.

Und andere gehen im Garten umher,
In dem ich so manche Stunde geblieben,
Und die Sonnen versinken hinter dem Meer,
Was ich geliebt, werden andere lieben.

Der gleiche Glanz, die gleichen Feste,
Der gleiche Garten vor meinem Haus,
Der Wald wiegt seine goldenen Äste,
So als wäre mein Leben nicht aus.
















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